Wer verrät das Deutschtum?

22.03.1921

Quelle
Wochenschrift „Dreigliederung des Sozialen Organismus“
Jahrgang 2, Nummer 38, 22. März 1921, S. 2-3

„Le Deutschtum“ ist ein Ausdruck, den man als Spottwort in französischen Zeitungen immer wieder trifft, wenn das Bild des abscheulichen

[Dreigliederung, Jahrgang 2, Nummer 38, März 1921, Seite 2]

Popanzen beschworen werden soll, in dem das deutsche Wesen der neueren Zeit im Massenbewußtsein der Franzosen und fast aller Völker der Erde heute lebt. Dieser Popanz hat ganze Völker jahrelang in Kriegsbegeisterung gehalten, und er war eine der gewaltigsten Mächte unter denen, die Deutschland zu Boden geworfen haben.

Verräter am Deutschtum nenne ich diejenigen, die aus dem deutschen Volk heraus Fetzen geliefert haben, aus denen dieser Popanz zusammengestückt worden ist; denn es ist nicht nur „unechtes“ Zeug, was an ihm hängt, sondern gar viel „echtes“. Echt in dem Sinn, daß es aus deutschen Händen stammt, und zwar aus solchen Händen, die sich gerade als die wahren Träger des „Deutschtums“ gebärdet haben.

Wer, wie der Schreibende, durch den ganzen Krieg hindurch in einem immer mehr ententisch gesinnten Land für den deutschen Geist kämpfte — er gab mitten im Krieg einer rechtswissenschaftlichen Abhandlung über Zentralprobleme der modernen Rechtsentwickelung den Untertitel: „Deutsche Geistesformen deutschen Geisteslebens“ —, der darf es aussprechen, daß die furchtbarsten Feinde des deutschen Geistes diejenigen waren und noch sind, die das Wort „Deutschtums“ zu einem brutalen Brüllwort gemacht haben und die durch ihr Gebaren unmittelbar daran mitgewirkt haben, eine reale Großmacht zu erzeugen, von der das deutsche Volk dann zerschmettert worden ist: eben den Popanzen „Le Deutschtum“.

Während des Krieges wartete die Welt auf das Aufsteigen einer politischen Idee aus Deutschlands Boden. Was hörte man statt dessen? In Brest den Säbel klirren, in Versailles die Schreibfeder knirschen. Vom „Diktieren des Friedens“ und davon, daß das deutsche Volk in diesem Krieg lediglich „um seine Existenz kämpfe“, hatte man ununterbrochen reden gehört. Über das Prahlen mit dem Diktatfrieden hat der November 1918 entschieden. Aber nicht minder über das Reden vom „Kampf um die eigene Existenz“. Denn solches Reden ist, weltpolitisch betrachtet, einfach naiv gewesen. Existenzwille allein ist keine politische Idee. Er kann nicht so formuliert werden, daß er fähig wäre, Bundesgenossen in fremden Völkern, sogar im Schoße der feindlichen, zu werben. Mit einer ideellen Großmacht, mit einer aus den jahrtausendealten deutschen Sozialkräften gewachsenen weltpolitischen Idee allein hätte der Kampf gegen den Popanzen „Le Deutschtum“ und gegen die einseitigen, aber ungeheuer stoßkräftigen westlichen Ideologien geführt werden können. Diejenigen, welche unterlassen haben, einer solchen, sich zum Leben heraufringenden wahrhaft deutschen politischen Idee zum Durchbruch zu verhelfen, sie bilden die zweite Gruppe der Verräter am Deutschtum.

Diese beiden Gruppen haben sich nun vereint, um gemeinsam über diejenigen herzufallen, die aus wahrhaft deutschem, aus goetheanischem Geistesleben heraus eine weltpolitische Idee ins Dasein heben wollen, die auch heute noch den Kampf mit den Vernichtungskräften aufnehmen könnte, trotz allen Sünden der verschiedenen Verrätergruppen, wenn es gelingen würde, sie mit genügendem Nachdruck ins öffentliche Leben hineinzustellen.

Die Idee des dreigliedrigen sozialen Organismus, die die besten Traditionen des alten deutschen Genossenschaftsgedankens und Selbstverwaltungsprinzipes in einer den weltpolitischen Aufgaben der Gegenwart angemessenen Weise zur Entfaltung bringen will, wird auf Anstiften „deutsch“-nationalistischer Kreise von einer „Frankfurter Zeitung“ angepöbelt! Was liegt hier vor?

Ein alldeutscher Professor, der wissenschaftliche Diskussionen nicht anders führen kann, als im Stil einer schlechten Studentenmensur, ist in einer Versammlung mit dem unsinnigen Vorwurf, daß die Propagierung der Dreigliederungsidee durch die oberschlesischen Ortsgruppen des Bundes für Dreigliederung „Vaterlandsverrat“ sei — hinten herunter gefallen. Nachdem der hier Schreibende in einem Vortrag in dieser Versammlung die geistig-politisch-wirtschaftliche Lage von Deutschland nach dem Osten hinüber sachlich so dargestellt hatte, daß dem Publikum (außer denen, die von Professor Fuchs unterwiesen worden waren, statt mit dem Hirn, mit den Schuhsohlen zu denken) die Idee der Dreigliederung als eine zugleich deutsche und weltpolitisch praktikable Idee durchsichtig wurde, versuchte der Professor Fuchs mit einem ungeheuern Aufwand von Effektmitteln des Schmierentheaterhelden dem Publikum die Dreigliederung als einen “Vaterlandsverrat“ hinzustellen. Es gelang ihm aber nicht mehr, als mit den Schuhsohlen des von ihm herbeigeschleppten Trosses von „Le-Deutschtum“-Mannen Kontakt herzustellen. Ein großer Aufwand schmählich war vertan! — Nur Schuhsohlen waren zur Entrüstung gebracht!

Was blieb da dem Mann anderes übrig, als mit einem noch viel größeren Aufwand eine „Revanche“ — man verzeihe in diesem Zusammenhang das undeutsche Wort — sich zu verschaffen. Er mobilisierte, was er mobilisieren konnte (und bekanntlich noch einiges darüber hinaus) und sorgte für einen furchtbaren Spektakel. „Le Deutschtum“ siegte glänzend bei diesem Anlaß!

Und die „Frankfurter Zeitung“, die während des ganzen Krieges und seit dessen Abschluß ununterbrochen mit gescheuten und halb gescheuten Gedanken und Halbgedanken alle tiefen und lebenskräftigen Ideen sabotiert hatte, sie öffnete willig einer vom Göttinger „Deutschtums“ ausgeschleuderten Schimpfiade ihre Spalten!

Wenn es auf Kosten des wirklich deutschen Wesens geht, so versagt es sich auch eine „Frankfurter Zeitung“ nicht, sich bei Antisemiten beliebt zu machen.

Impotenz und Popanz sind natürliche Verbündete gegen wahrhaft deutschen Geist; und sie beide wollen Arm in Arm die Keime niedertrampeln, aus denen allein auf dem durch Raubbau geschwächten deutschen Boden wirklich international handlungsfähige politisch-soziale Ideen erwachsen könnten.

Es ist ja begreiflich, daß die beiden wahlverwandten Kämpen verhindern wollen, daß in das Abrasseln des Abstimmungsmechanismus in Oberschlesien wahrhaft deutscher Geist hinein- und aus ihm in die internationale Welt hinausspreche. Denn dieser Mechanismus ist ja ein Werk der dritten gegen den deutschen Geist verschworenen Großmacht: des „Geistes“, der den Versailler Vertrag geschaffen! — Auf einer gegen Süden treibenden, dem Zerbersten entgegenschmelzenden Eisscholle standen vier Menschen. Einer von ihnen begann, mit Balken und Brettern ein Fahrzeug zu bauen, um beim Bersten der Scholle Boden unter den Füßen zu haben. Da nahmen die anderen drei die Bretter und Balken zur Hand und fielen damit über den vierten her. Daß er einen guten Gedanken hatte, wirkte auf sie wie eine persönliche Beleidigung.

[Dreigliederung, Jahrgang 2, Nummer 38, März 1921, Seite 3]