Arbeitsthesen zur Wirtschaft
Für eine bedürfnisortientierte assoziative Wirtschaft
in der DDR

01.03.1990
Anthroposophische Gruppe Magdeburg
im NEUEN FORUM

Ausgangssituation

1. Die zentralistische Planwirtschaft hat die DDR an den Rand des wirtschaftlichen Ruins gefuehrt.

2. Die Marktwirtschaft der BRD ist sehr leistungsfaehig.

3. Beide Systeme haben aber derzeit Grundstrukturen, die die oekologischen und sozialen Fragen regional und global dramatisch zuspitzen werden.

4. Die kuenftige Wirtschaft der DDR soll die westliche Produktivitaet erreichen und soziale und oekologische Strukturentwicklungen ermoeglichen. Diese Struktur soll z.B. Massenarbeitslosigkeit verhindern und oekologische Grundansaetze foerdern.

Eigentumsfrage

- Fuer den Hauptteil der Betriebe wird eine genossenschaftliche Form empfohlen. Souveraen ist die Vollversammlung, die den / die Leiter einsetzt und mit weitgehenden Handlungsvollmachten ausstattet. (Diese sind fuer eine effektive Organisation der Produktion noetig.)

- Eine unentbehrliche Stuetze fuer unsere Wirtschaft sind bestehende und neuzubildende private Kleinbetriebe. Die produktivitaetshemmende Steuergesetzgebung ist zu aendern. Ein angemessenes Einkommen des Besitzers wird als Kosten abrechenbar. Gewinn wird betriebsgebunden akkumuliert und eingesetzt und als geringer Teil versteuertes Zusatzeinkommen des Besitzers.

- Betriebe ueber 1000 Beechaeftigte werden zunaechst weiter von Direktoren gefuehrt. Diese Direktoren werden durch einen Einsetzungsrat berufen. Der Einsetzungsrat ist durch Delegierte paritaetisch besetzt; Belegschaft, Betriebsleitung, jeweilige Konsumentenorganisation; zustaendige Bank, freie unabhaengige sachkundige Buerger. Betriebsdirektoren, die aus Alters- oder Gesundheitsgruenden ausscheiden, haben bei der Neubesetzung das erste Vorschlagsrecht.

- Eigentum an Produktionsmitteln (einschliesslich Boden als Produktionsmittel) ist grundsaetzlich nicht vererbbar und nicht verkäuflich. Aktiensysteme werden abgelehnt.

- Die Uebergabe von jetzigen Privatbetrieben an einen Erben wird garantiert, wenn der Erbe den Betrieb weiterfuehren will.

- Die Uebergabe von Privatbetrieben wird vom Besitzer bestimmt. Aus juristisch festgelegtem Eigentum wird dadurch aktives produktionsgebundenes Verwaltungseigentum. Die Handlungsmoeglichkeiten des Verwaltungseingentuemers werden gegenueber dem Besitzer nicht eingeschraenkt, sondern sogar erweitert.

Verflechtungen / Organisation

- Das Bilanzsystem wird in einem vorgegebenen Zeitrahmen aufgehoben

- Um die Produktion beduerfnisgerecht auszurichten, sind Konsumentenorganisationen zu ermöglichen die Beduerfnisse, Quantitaets- und Qualitaetsanforderungen ermitteln und gegenueber den Produzenten vertreten.

- Suggestive Werbung wird untersagt.

- Betriebe gleicher Erzeugnisrichtung
Produzenten, Konsumenten, Haendler und Banken
Wirtschaftseinrichtungen in der Region
bilden aus sich heraus Assoziationen, die ein Abbild der nachgegebenen Verflechtungen darstellen. An solchen Einrichtungen, wie Kammern und Erzeugnisgruppenverbaende kann angeknuepft werden. Entsprechende "von Oben" eingesetzte uebergreifende Verwaltungen sind "von unten" herauf neu zu strukturieren und zu besetzen (z.B. Wirtschaftsraete).

- Die Unterstellung von Wirtschaftseinheiten unter adminitrative Strukturen wird schrittweise aufgehoben.

Soziale Veranlagungen

- Das Arbeitsrecht wird den Wirtschaftseinheiten als Rahmengesetz vorgegeben. Die Arbeit darf darin nicht zur Marktware werden.

- Die Vermittlung von neuen Arbeitsplaetzen fuer zu entlassende Mitarbeiter obliegt nicht buerokratisch-administrativen Aemtern, sondern
* bei Einzelentlassungen den Betrieben und Einrichtungen
* bei Betriebstillegungen der Branche o, dem Verband
* bei Branchenzusammenbruechen der Landeswirtschaftsfuehrung d. DDR

- Die Lohnhoehe wird primaer nicht von quantitativen Leistungen bestimmt, sondern vom Verantwortungsgrad und von Qualitaetsparametern.

- Arbeitszeitverkuerzung, Reduzierung der Schichtarbeit und Teilzeitangebote (inb. fuer Muetter, Vaeter, engagierte Buerger) werden angestrebt.

- Jedem Buerger wird eine finanzielle Grundsicherung garantiert.

- Die Mindestrenten und die Renten von ehemaligen Mitarbeitern des Sicherheitsapparates, des Staaten sowie ehemaligen Mitgliedern der Kampfgruppen und der SED werden einander angeglichen,

- Das Kuendigungsrecht des einzelnen Mitarbeiters bleibt weiterhin bestehen. Dieses Recht sowie die Grundsicherung und die Vielfalt der Unternehmen gewaehrleisten ohne Ezistenzangst jedem Werktaetigen aus der Arbeit auszuscheiden wenn diese Arbeit fuer ihn moralisch nicht zu verantworten ist (z.B. Genforzchung, Reaktorbetrieb, aeeentierha1tung Daten-speicherung ...).

- Fuer abgewaehlte Leiter und ehemalige Betriebseigentuemer, die nicht dem oben skizzierten Kuendigungsschutz unterliegen koennen, werden gesonderte angemessene Sozialregelungen geschaffen.

Oekologische Veranlagungen

- Lebensnotwendige Voraussetzung fuer unsere Weiterexistenz sind gemeinwirtschaftliche Rahmenbedingungen (Stiftungsrecht) fur die vielfaeltigen oekologischen und sozialen Modellbzw. Versuchsprojekte, Betriebe und Vereinigungen.

- Ein Teil der Investitionen fuer solche Projekte kann direkt aus dem Gewinn der Betriebe ermoeglicht werden. Das Projekt wird von der Mitarbeiterschaft (einßchliesslich Angehoerigen) bzw. bei Kleinbetrieben von Eigentuemer ausgewaehlt und das Kapital oder Initiative bei gleichzeitiger buchhalterischer Kontrolle als Schenkung zur Verfuegung gestellt.

- Wissenschaft in staats.. bzw. wirtschaftsgebundener Struktur unterdrueckt die Vielfalt und Kreativitaet. Oekologische Forschungen kommen nicht ueber Provisorien hinaus, weil die schulmaessig arbeitenden mit Staat und Wirtschaft verflochtenen Wissenschaftsapparate die Mittel binden und die Alternativansaetze unterdruecken.

- Der Aufbau vielfaeltiger unabhaengiger Oekoinstitute ist laengst ueberfaellig.

- Das Umweltrecht wird grundlegend neu gestaltet, (Extra Thesenpapier liegt vor)

Landwirtschaft

- Die Zusammenfuehrung der LPG (P) und LPG (T), also von Pflanzenanbau und Tierhaltung auf Dorfbasis, ist oekologisch und oekonomisch notwendig. Die Entscheidung darueber obliegt aber den anteiligen Mitgliedern im Dorf.

- Betriebe, die nach den Rahmenrichtlinien des oekologischen Landanbaus arbeiten (GäaRichtlinien v. 4. Nov. 1989 Dresden), werden gefoerdert.

- Monopolisierungen von Verarbeitungs- und Vermarktungsbetrieben sind kartellrechtlich zu unterbinden.

- Neben der LPG als Hauptform soll es auch wieder kleine Eigentumsbetriebe geben.

Verkehr

Schwerpunkt bei der Modernisierung sind die Reichsbahn und die kommunalen Nahverkehrssyteme. Die Niedrigtarife sind auf Kosten der Kraftstoffverbraucher zu erhalten.

Bauwesen

- Menschengemaesse Architektur und Raumplanung soll die Notwendigkeit der Zweitwohnung "Im Gruenen" eruebrigen und das Verkehrsaufkommen senken.

- Die Erhaltung der Reste doerflicher Architektur wird gefördet.

Medizin

- Die staendig steigenden Aufwendungen fuer das Gesundheitswesen sind oekonomisch so gravierend, dass mittelfristig voellig neue Grundstrukturen gefunden werden muessen. Langfristig ist das Gesundheitsproblem nur beherrschbar, wenn moeglichst bald die Krankheitsursachen wie z.B. UmweItverschmutzung, Agrarchemikalien usw. beseitigt werden.

Innerbetriebliche organisation

- In den dargestellten Eigentumsformen ist die Mitwirkung der Arbeitsnehmer veranlagt. Grossbetriebe waehlen sich zusaetzlich Betriebsraete.

- Die in der Vergangenheit zwangsweise an Grosseinheiten angegliederten Betriebe koennen sich wieder selbstaendig machen.

- Fuer die Leitungsstruktur kann es kein Schema geben. Sie hat sich sachgemaess und entsprechend dem Willen der Belegschaft nach den bereitstehenden Leitern mit ihren Faehigkeiten zu richten.

- Kombinatsleigungen werden von den Betriebsteilen gewaehlt und mit sachlich notwendigen Vollmachten ausgestattet. Nur so wird es moeglich sein, dass sie sich schrittweise von Kommandozentralen zu Service- und Beratungseinrichtungen entwickeln.

Aussenwirtschaft

- Die internationale industrielle Arbeitsteilung wird voll bejaht.

- Muellimporte werden (abgesehen von Westberlin) untersagt.

- Kapitalimport ist erforderlich. Dieser darf aber nicht zwangsläufig zur Etablierung des westlichen Marktsystems fuehren.

Aktuelle Stabilisierungsmassnahmen

- Nur eine radikale einseitige Abruesung kann der Volkswirtschaft umgehend Arbeitskraefte, Technik und Finanzen zufuehren. (Die Aufloeung der NVA ist zudem historisch, politisch und militaer- bzw. ziviltechnisch laengst ueberfaellig)

- Der Ausstieg aus der Atomwirtschaft ist oekologisch und oekonomisch unausweichlich. Durch sofortige Stillegung der Baustelle Stendal werden bedeutende Kapazitaeten freigesetzt.

- Die Einstellung der Leistungssportfoerderung kann kommunal wichtige Entlastungen bringen. Stellung der Wirtschaft innerhalb des Rechtsgebietes

Die Wirtschaft bildet neben dem Kulturbereich und dem Rechtsbereich eine relativ selbstaendige Einheit. Die Gesellschaft wird dadurch dreigegliedert.

- Die Fuehrung der Wirtschaft wird von den Assoziationen gebildet. Uebergangsweise wird die Fuehrung durch die vorhandenen Ministerien und Aemter gewaehrleistet. Die Unterstellung unter den Ministerpräsidenten wird aufgehoben. Der Landeswirtschaftsleiter wird genau wie der erste Kultur- und Bildungbeauftragte dem Ministerpraesidenten gleichgestellt.

- Arbeits- und Umweltrechtsbestimmungen werden der Wirtschaft vom Rechtsgebiet vorgegeben. Daran hat sich jeder Betrieb zu halten, wie z.B. heute an Arbeitsschutzauflagen oder Rohstoffgegebenheiten.